Julius Asch 1914 – 1932: Unternehmer und Mäzen Als Julius Asch im Jahr 1899 Lehrling bei der Hamburger Firma Charles Lavy & Co. wurde, war er 24 Jahre alt. Er kam aus der damals zu Preußen gehörenden, später polnischen Stadt Rawitsch bei Posen. Nach Abitur und Militärdienst erlernte er in der Hansestadt den Kaufmannsberuf. Das Unternehmen beschäftigte damals 500 Angestellte und war als Im- und Exportfirma tätig, hatte aber auch einen guten Ruf als Hersteller von Oberbekleidung. Nach seiner Lehrzeit blieb er bei der Firma: 1914 wurde er Teilhaber, 1916 kam er in die Firmenleitung und 1919 gründete er das Zweigunternehmen Laco, das zu einer führenden Marke für Seidenschals und -krawatten wurde. Als Julius Asch damals in der Elbchaussee 30 (heute 557) sesshaft wurde, war er ein erfolgreicher Unternehmer und Bürger der Stadt Hamburg. Nur zwei Jahre später erwarb er den Gutshof Marienhöhe. Er ließ das Herrenhaus umbauen, das umliegende Gelände aufforsten und die Parkanlage verschönern. Jeden Sommer öffnete er das Gut für jüdische Kinder. Überlebende Juden erinnerten sich noch Jahrzehnte später an die idyllischen Ferienlager in Marienhöhe. Kurz bevor Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes verboten wurden, heiratete Asch 1934 Erna Basse, die Schwester seines Verwalters. Die Ehe mit der Arierin war ein vorläufiger Schutz – genauso wie die Tatsache, dass er sich die Firmenleitung mit dem Arier Gerhard Kelter teilte. Zusammen konnten sie im Frühjahr 1938 das 100-jährige Bestehen von Lavy & Co. feiern. 1933 – 1938: Die ‘Entjudung’ des Wirtschaftslebens Dass Julius Asch im Frühjahr 38 noch als Mitinhaber von Lavy & Co. zeichnete, war keineswegs selbstverständlich. Denn seit zwei Jahren betrieben Staat und Partei die zunehmende Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft und ihre schleichende Ausplünderung. Mit der Zerstörung ihrer wirtschaftlichen Existenz sollten sie zur Auswanderung gezwungen werden. Verantwortlich für diesen Prozess waren unscheinbare Behörden, die wegen des Devisenmangels den Zahlungsverkehr mit dem Ausland zu überwachen hatten – die Devisenstellen der Oberfinanzpräsidenten und die Zollfahndung. Da Juden zu Auswanderern gemacht werden sollten, galten sie als potentielle Devisenschieber. Es wurde üblich, unter dem Vorwand der Devisensicherung jüdische Firmen ständig zu kontrollieren, und es war gesetzlich erlaubt, bei angeblichen Verstößen jüdisches Vermögen sofort zu beschlagnahmen. Durch flankierende Maßnahmen wie Aufrufe zum Boykott, Kürzungen der Bankkredite, Beschränkungen bei Importen, Aufhetzen der Mitarbeiter konnte der Druck auf jüdische Firmeninhaber erhöht werden, ihre Betriebe an arische Besitzer zu übertragen oder ganz zu liquidieren. Der Zwangsverkauf erbrachte höchstens die Hälfte des Einkaufswertes. Julius Asch konnte aufgrund der Größe und wirtschaftlichen Bedeutung des Unternehmens und der Loyalität der Mitbesitzer diesem Druck zunächst standhalten. Im Jahre 1938 wurde die bis dahin schleichende Arisierung in legale Formen überführt und zugleich beschleunigt. Am 4. Januar verfügte das Wirtschaftsministerium, dass schon ein jüdischer Inhaber bzw. Gesellschafter oder mehr als ein Viertel jüdische Mitglieder eines Aufsichtsrats ausreichten, um ein Unternehmen zum jüdischen Gewerbebetrieb zu machen. Alle Versuche, solche Besitzverhältnisse zu verschleiern, wurden unter Strafe gestellt. Ab dem 26. April mussten alle Juden, die mehr als 5 000.- RM besaßen, ihre Vermögensverhältnisse offenlegen und in einem Verzeichnis, das auch persönliche Wertgegenstände wie Schmuck, Möbel oder Bilder enthielt, exakt auflisten. Firmenverkäufe waren ab sofort genehmigungspflichtig. Asch blieb jetzt keine Wahl mehr. Am 23. Juni unterzeichnete er den letzten Vertrag zur Übergabe seiner Anteile an die neuen arischen Besitzer Kelter und Weger. Als Abfindung war die Summe von 850 000.- RM festgesetzt worden. Schon drei Tage vorher hatte die Finanzbehörde eine Akte angelegt mit der klaren Weisung: Julius Asch verlässt die Fa. Chs. Lavy & Co. am 30.6.– sofort gesamtes Vermögen sichern. Die Begründung: Es besteht die Gefahr bei den in Deutschland lebenden Juden, dass sie bei ihrer Ausreise Vermögenswerte den deutschen Devisenbestimmungen zuwider in das Ausland verbringen (Staatsarchiv Hamburg). Entsprechend wurde verfahren: Pünktlich am 30. Juni entzog ihm die Zollfahndungsstelle mit einer Sicherungsanordnung die Kontrolle über sein gesamtes Vermögen. Es wurde auf ein Sperrkonto überwiesen, das der Verfügung der Devisenstelle unterstand. Jede Summe musste nun beantragt werden. In einem Schreiben vom 4. Juli stellte er sich auf die demütigende Situation ein: Bezugnehmend auf die heutige fernmündliche Unterhaltung […] bitte ich darum, nachdem ich gehört habe, dass auch kleine Ausgaben, die ich für den Lebensunterhalt und eventuell zur Bezahlung kleiner Rechnungen benötige, einer Genehmigung bedürfen, mir den Betrag von RM 500.- freizustellen. (Staatsarchiv Hamburg) Die Devisenstelle strich die Summe durch und erhöhte auf 3 000.- RM. Wenig später wurde der Betrag noch einmal angehoben. Im Frühjahr hatte ihn einer seiner Prokuristen, das NSDAP-Mitglied Tycho Mahnke aus Blankenese, gewarnt: Sie müssen hier raus, Herr Asch – und das bald! (Gisela Dulon). Damals hatte er diesen Rat entrüstet zurückgewiesen. Jetzt im Juli begriff er, dass die Auswanderung der einzige Ausweg blieb. Seine Geschäftsbeziehungen ins Ausland und der Besitz eines Reisepasses schienen dies Vorhaben zu erleichtern. Er hoffte, Teile seines Vermögens ins Ausland zu transferieren und bei der Schwesterfirma Lavy & Co. Ltd. eine Anstellung zu finden. 1938: Der Kampf um die Auswanderung Schon im August zeigte sich, dass seine Hoffnungen trügerisch gewesen waren: Der Besitz eines Passes wurde vom Nachweis einer Unbedenklichkeitsbescheinigung abhängig gemacht. Darin musste die Devisenstelle bestätigen, dass der Passinhaber kein Kapital mehr besaß, welches er ins Ausland transferieren konnte. Der Pass von Julius Asch lief Ende des Jahres ab. Bis dahin musste er sich seines Vermögens entledigt und die für jüdische Auswanderer erhobenen immensen Abgaben entrichtet haben. Erst dann würde er die kost-bare Bescheinigung in Händen halten. Es begann ein Wettlauf mit der Zeit. Nachdem sich der 63-Jährige im Oktober in Bad Wildungen ohne Erfolg einer Nierenoperation unterzogen hatte, stellte er für sich und seine Frau den Antrag auf Ausreise. Sie sollte am 10.Dezember statt- finden. Im November verkaufte er seine beiden Häuser – den Gutshof Marienhöhe an den Präses der Handelskammer Bremen, Gustav Scipio, das Wohnhaus an der Elbchaussee an den Reeder John T. Essberger. Die Erträge gingen auf sein Sperrkonto und wurden gleich wieder abgeschöpft durch eine gesetzlich vorgesehene Zwangsabgabe an die Deutsche Golddiskontbank. Auch auf die nach 1933 gekauften Gebrauchsgegenstände wurden, weil sie als zur Ausreise gekaufte Güter galten und damit eine Form von Kapitalflucht darstellten, eine hohe Steuer erhoben. Die Inventarisierung dieses Umzugsguts bot der Zollfahndungsstelle den Anlaß zu ständigen Überprüfungen und Beanstandungen. Die Zeit lief Julius Asch davon. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes Altona lag mittlerweile vor. Die des Finanzamtes Neustadt fehlte – sie traf erst am 6. Dezember, vier Tage vor der Abfahrt, ein. Die Hoffnung, Teile seines Vermögens im Ausland erhalten zu können, hatte Julius Asch nach einem abschlägigen Bescheid der Devisenstelle schon im November aufgeben müssen. Was er im Fragebogen für Auswanderer auf die Frage 17 geantwortet hatte, würde jetzt eintreffen. Welchen Betrag wollen Sie in bar ausführen? – Nichts, außer je RM 10 und je RM 50 auf Dringlichkeitsbescheinigung für meine Frau u. mich (Staatsarchiv Hamburg). Am 10. Dezember wollte das Ehepaar das Schiff nach England besteigen. Aber der Abreisetag verstrich, ohne dass der Ausreiseantrag abschließend vom Oberfi- nanzpräsidenten behandelt worden wäre. Aus ungeklärten Gründen wurde die Angelegenheit Julius Asch erst am 28. Dezember weiterbearbeitet – zu spät für Asch, dessen Pass am 31. Dezember 1938 ablief. Beruflich ruiniert, seines Vermögens beraubt und an der Ausreise gehindert, hatte das Leben für ihn allen Sinn verloren. Am 2. Januar 1939 schied er freiwillig aus dem Leben. Am 12. Januar fanden spielende Kinder seinen Leichnam, von den Eisschollen der Elbe wieder an Land getragen, am Strandweg in Blankenese. Julius Asch war bis zuletzt Mitglied der jüdischen Gemeinde Altona gewesen. |
Ida Dehmel | Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde erschaffen Diese Worte notierte Ida Dehmel 1901 in ihren autobiographischen Aufzeichnungen (Daija, SUB Hamburg, Dehmel-Archiv) kurz nachdem sie mit Richard Dehmel von Berlin nach Blankenese in die Parkstraße 40 (heute Am Kiekeberg 22) gezogen war. Im großbürgerlichen Elternhaus des wohlhabenden jüdischen Weingutbesitzers und Kommerzienrats Simon Zacharias Coblenz in Bingen am Rhein aufgewachsen kämpfte Ida nach dem frühen Verlust der Mutter gegen die auf Pflichterfüllung pochende harte Erziehung ihres Vaters. Das Familienleben verlief ohne Beachtung der jüdischen Feiertage und religiösen Vorschriften. Im Brüsseler Mädchenpensionat um 1885-86 erfuhr sie zum ersten Mal Missachtung aufgrund ihrer jüdischen Herkunft. In der vom Vater diktierten Heirat mit dem Berliner Kaufmann Leopold Auerbach führte Ida Dehmel ein großes Haus im Berliner Tiergartenviertel und lud vor allem Dichter und Künstler zu ihrem literarischen Salon ein. Auch Richard Dehmel, der als Schriftsteller von Nietzsche beeinflusst war, in den Berliner Bohème-Kreisen verkehrte und grüblerisch-ungestüme, sinnenfrohe Versepen schrieb, kam zu Ida Auerbachs Soiréen. Die umschwärmte Mäzenatin wandte sich nach der Geburt ihres Sohnes immer mehr diesem Gast zu. So will ich mich finden lassen Da sie schon früh erkannte, dass sie zwar Neigung und Talent zum Schreiben und Musizieren hatte, dies jedoch nicht zu einer professionellen Ausübung genügte, wollte sie sich über andere verwirklichen und suchte den Künstler, mit dem sie dies leben konnte. Ida Auerbach und Richard Dehmel trennten sich von ihren Familien und heirateten im Jahr 1901. Mit dem Umzug von Berlin nach Hamburg begann für das Paar eine erfüllte Zeit des gemeinsamen Lebens und Arbeitens. Sie reisten häufig zu Vorträgen und Lesungen und hielten regen Austausch mit den Künstlern ihrer Zeit: mit dem Maler Max Liebermann, mit dem Künstler und Architekten Henry van de Velde, mit dem Verleger und Herausgeber der Zeitschrift Pan Harry Graf Kessler, mit den Dichtern Detlef von Liliencron, Alfred Mombert und Paul Scheerbart. 1911 bauten Richard und Ida Dehmel mit dem bekannten Hamburger Architekten Walther Baedeker das Dehmel-Haus in der Westerstr. 5 (heute Richard-Dehmel-Str. 1). Wiederum verstand es Ida Dehmel, das Haus zur beliebten Adresse des geselligen kulturellen Lebens der Hansestadt mit vielen künstlerischen und karitativen Veranstaltungen zu machen. Ida Dehmel unterstützte junge Künstler und erfüllte sich ihren Wunschtraum: Selbständiger Teil eines viel Größeren zu werden In engem Kontakt zu ihrer sechs Jahre älteren Schwester Alice Bensheimer in Mannheim engagierte sich Ida zunehmend für die Frauenfrage. Sie initiierte 1906 den Hamburger Frauenklub am Neuen Jungfernstieg, wurde 1911 Vorsitzende des Norddeutschen Verbandes für Frauenstimmrecht, gründete 1913 den Bund Niederdeutscher Künstlerinnen. Um 1910 griff Ida Dehmel eine Kindheitsvorliebe für die Perlenstickerei auf und wurde selbst zur Kunsthandwerkerin; sie trat dem Deutschen Werkbund bei und fertigte Taschen, Gürtel, Lampenschirme. Wie stark dieses Bild von dem aus Perlen gewebten Leben für Ida war, zeigt eines ihrer wenigen Gedichte, das in diesem Zeitraum unter dem Titel Das Lied entstand und mit kleinen Veränderungen von Richard Dehmel in die Gedichtsammlung Schöne wilde Welt 1913 aufgenommen wurde (Das Perlgewebe). Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete sich der fünfzigjährige Richard Dehmel als Freiwilliger, und auch Idas Sohn Heinz Lux Auerbach wurde eingezogen. Ida Dehmel verstärkte in den Kriegsjahren ihr soziales Engagement in der Frauenbewegung und in der Künstlerhilfe. Sie wurde Zweite Vorsitzende der Vereinigung Deutscher Frauendank, wurde korrespondierende Schriftführerin des Deutschen Reichsverbandes für Frauenstimmrecht, war aktives Mitglied der Nationalliberalen Partei (nach dem Krieg Deutsche Volkspartei) und wurde Vorsitzende des Frauenbundes zur Förderung Deutscher Bildenden Kunst. Das Leben Ida Dehmels veränderte sich jedoch abrupt durch den Tod ihres Sohnes, der 1917 in Frankreich fiel, und durch den Tod ihres Mannes, der im Februar 1920 an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung starb. Eine Leistung vollbringen, die größer ist als man selbst Um die Trauer zu bewältigen, arbeitete Ida Dehmel intensiv an der Fortführung des Dehmel-Archivs, gründete 1921 die Dehmelstiftung und die Dehmelgesellschaft. Dies geschah nicht nur zum Erhalt und zur Bearbeitung des Nachlasses, sondern vor allem zur Finanzierung des Dehmel-Hauses. Dank der vielfältigen Beziehungen zu ihren Freunden gab sie eine zweibändige Ausgabe ausgewählter Briefe Richard Dehmels heraus und kümmerte sich im Kontakt mit dem S. Fischer Verlag um Abdruck und Neuausgabe der Werke. 1926 verkaufte sie den gesamten Nachlass an die Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek und erreichte, dass das Dehmel-Archiv zunächst im Haus und ihr zur Verfügung blieb. Erst bei Kriegsbeginn 1939 kam es zur Sicherung in die Räume der Bibliothek. Rastlos betrieb sie auch die Institutionalisierung der Förderung von Künstlerinnen. Zunächst beteiligte sie sich an der Gründung des Bundes Hamburgischer Künstlerinnen und Kunstfreundinnen (1925) und wurde dessen Vorsitzende. Überregional gründete sie 1926 die bis heute bestehende Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen (GEDOK). Frau Isi – wie sie von allen Freunden genannt wurde – setzte sich in diesen Vereinigungen dafür ein, dass nicht nur die Künstlerinnen eine Plattform bekamen, sondern dass auch die Unterstützerinnen und Förderinnen - wie sie selbst - darin eine Möglichkeit für ihr Engagement erhielten. In diesen Organisationen hatte Ida Dehmel regen Austausch mit Alma del Banco und Julie Wolfthorn – beide Künstlerinnen porträtierten sie. Ida veranstaltete Vortragsabende in ihrem Haus und bezog in diese Arbeit auch immer wieder ihre Lieblingsnichte Marianne Gärtner ein, die mit ihrem Mann Dr. Robert Gärtner ebenfalls in Blankenese wohnte. Drei Monate nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 erfuhr Ida Dehmel sehr schnell die radikalen Einschränkungen ihrer Arbeit, die sie neun Jahre später in den Freitod trieben. Als sie im April 1933 den Versammlungsraum im Hamburger Hof zu einer GEDOK-Sitzung betreten wollte, war er von SA-Männern umstellt. Sie musste innerhalb von zehn Minuten ihr Amt als Vorsitzende der Reichsgedok niederlegen. In Folge durfte sie weder eigene Texte noch solche aus dem Nachlass ihres Mannes veröffentlichen. Ihre größte Sorge galt nach wie vor dem Erhalt des Dehmel-Hauses. Aus diesem Grund verweigerte sie jeden Gedanken an Emigration. Erst nach dem Tod ihrer Schwester Alice Bensheimer im Jahr 1935 unternahm sie in den folgenden Jahren zwei größere Schiffsreisen und sah darin die letzte Möglichkeit, dem immer enger werdenden Netz aus Vorschriften und Verboten in Deutschland zu entfliehen. Jedes Mal kehrte sie jedoch zu ihrem eigentlichen Lebensort, dem Dehmel-Haus zurück. Da alles Jüdische nur noch mit Angst und Schrecken verbunden war, trat Ida Dehmel am 6.12.1937 in die evangelisch-reformierte Kirche ein. Als 1938 unter dem Zwang der NS-Behörden alle jüdischen Deutschen einen alttestamentarischen Namen tragen mussten, nannte sich Ida Dehmel fortan in offiziellen Schreiben Jedidja. Dank des Fürspruchs von Mary Baronin Toll bei Prinz Friedrich Christian zu Schaumburg-Lippe, dem ehemaligen Adjutanten von Goebbels, konnte sie weiter im Dehmel-Haus wohnen und wurde vom Zwang, den Judenstern zu tragen, befreit. Im Oktober 1941 wurden die ersten 2000 Hamburger Juden deportiert. Als auch die Haushilfe der jüdischen Mitbewohner des Dehmel-Hauses abgeholt wurde, erlebte Ida Dehmel dies aus nächster Nähe und schrieb an eine Freundin: Eine arische Bekannte meiner Mieterin kam zu Besuch. ... Sie sagte zu mir: ‚Wie gut, dass Sie noch nicht dran sind, da können Sie doch bessere Reisevorbereitungen treffen’ . Und da schlägt kein Blitz ein und lähmt ihr die Zunge ... (Brief Ida Dehmel an Marie Stern, 25.10.1941). Umstellt von Verfolgungen, ohne jede Perspektive, ließen das alte Augenleiden und die Gicht den Rest an Lebenswillen in ihr versiegen. Am 29. September 1942 nahm sich Ida Dehmel mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben. |
Sophie Jansen Im April 1913 konnte die Gemeinde Blankenese zwei neue Bürger begrüßen – den Hamburger Rechtsanwalt Dr. Cäsar Max Jansen und seine Ehefrau Sophie. Die Neuankömmlinge hatten sich am Elbhang – Im Busch 7 – vom damaligen Stararchitekten Baedeker eine prächtige Klinkervilla bauen lassen. Jansen war als Sozius einer renommierten Anwaltskanzlei zu beträchtlichem Wohlstand gekommen und gehörte, wie seine langjährige Tätigkeit im Vorstand des Yacht Clubs zeigte, zu den feinen Kreisen der Hamburger Gesellschaft. Seine Frau Sophie dürfte bei den Soireen und in den Salons für steten Gesprächstoff gesorgt haben: Ihr Leben war alles andere als üblich. Landleben und Schriftstellerei Als Tochter des wohlhabenden Spediteurs Carl Ezechiel Schlossmann in Hamburg geboren und in Breslau bzw. Dresden großgeworden, hatte sie als Zwanzigjährige 1882 Cäsar Max Josephson, den Sohn eines Altonaer Arztes, geheiratet. Doch das gesellschaftliche Leben und die Erziehung ihrer Kinder reichten nicht aus: Sie bewog 1895 ihren Mann, in Grande bei Trittau einen Gutshof zu erwerben und dorthin zu ziehen. Während er selbst täglich in seine Hamburger Kanzlei fuhr, machte sie sich daran, den 400 Morgen großen Hof zu bewirtschaften – als Autodidaktin. Sie verschaffte sich durch eigene Lektüre und Austausch mit Fachleuten nicht nur die notwendigen Kenntnisse in Rinderhaltung und Milchwirtschaft, sondern versuchte auch in der Praxis, die damaligen Reformen in der Viehhaltung zu unterstützen. Aber diese Experimente waren teuer, und eine Serie von Seuchen verursachte zusätzliche Kosten. 1901 entschloss sich das Ehepaar, das Gut zu verkaufen und nach Hamburg zurückzukehren. Die Niederlage wurde nicht einfach abgehakt und vergessen: Sophie veröffentlichte 1905 ein Buch über ihre Erfahrungen – Sofiensruh. Wie ich mir das Landleben dachte und wie ich es fand. Der mit feinem Humor und drastischer Selbstironie verfasste Bericht wurde ein Bestseller und verhalf ihr zu weiter literarischer Anerkennung. 1908 erschien ihr zweites Buch, ein Roman über eine junge Frau, deren Wunsch nach Mutterglück an der Enge der gesellschaftlichen Konventionen zerbrach. Friede Wend, so die Kritik, müsste man sich als eine Art Buddenbrooks vorstellen. Autobiographische Erfahrungen als Mutter von mittlerweile sechs Kindern standen im Mittelpunkt von Bebi und Bubi. Ein Jahr aus dem Kinderleben. Das reich illustrierte Buch erschien 1909 und wurde ihr letztes. Der Grund für das Ende ihrer Schriftstellerei war die Entdeckung, dass sie dringender woanders gebraucht wurde. Schon während der verheerenden Cholera-Epidemie von 1892, die besonders in den dicht bevölkerten Hamburger Arbeitervierteln wütete, war sie mit der sozialen Frage konfrontiert worden und hatte spontan zu helfen versucht. Fünfzehn Jahre später, angeregt durch das soziale Engagement eines Barmbeker Pastors, wurde sie eine Pionierin des neu organisierten Armenwesens. 1908 war sie unter hunderten von Männern die erste Frau, die als öffentliche Armenpflegerin bestellt wurde. Die soziale Frage Mit dem Umzug 1913 endete zwar dieses Amt, nicht aber ihr soziales Engagement: Es wurde fortan das Zentrum ihres Lebens. Schon als Armenpflegerin in Hamburg war sie Mitglied im Allgemeinen Deutschen Frauenverein geworden, der sich für eine Steigerung der Bildung, der wirtschaftlichen Selbstständigkeit und der politischen Rolle der Frauen im öffentlichen Leben einsetzte. In Blankenese setzte sie diese Aktivität fort: 1915 wurde sie die erste Vorsitzende der dortigen Ortsgruppe des Norddeutschen Frauenvereins. Der Krieg hatte die soziale Not enorm gesteigert, und die Ortsgruppe reagierte vom ersten Tag auf diese Lage: Im August 1914 war in der heutigen Witts Allee eine Volksküche eröffnet worden, die Essen für anfangs 100, schließlich für 700 Personen ausgab. 1916 folgte am selben Ort die Einrichtung einer Säuglingsfürsorge. Seit 1917 existierte auch eine Kinderkrippe. An allen diesen Initiativen war Sophie Jansen führend beteiligt. 1919 wurde sie von der Gemeinde dafür mit einer Gedenkmünze gewürdigt. Sie wurde allen denjenigen verliehen, die sich während des Krieges fürsorglich für unsere Krieger und deren Angehörige betätigten und der Allgemeinheit aus Nächsten- und Vaterlandsliebe uneigennützig Liebesdienste geleistet haben.Auch im folgenden Jahrzehnt blieb sie die treibende Kraft der Sozial- arbeit in Blankenese. Sie führte – im Auftrag des Vaterländischen Frauenvereins und unterstützt von der Gemeinde – die Säuglingsfürsorge weiter, zunächst im Gemeindebüro und in der Turnhalle Dockenhuden, dann in der Schule am Kahlkamp. Für diese Tätigkeit erhielt sie später das Erinnerungskreuz des Vaterländischen Frauenvereins. Daneben wirkte sie als Vorstandsmitglied im Gesamtarmenverband der Elbvororte. Vor allem dem Armenhaus am Tinsdaler Kirchenweg galt ihre Aufmerksamkeit. Dieser aktive Einsatz für die sozial Schwachen erfolgte nicht aus der gesicherten Position eines großen Einkommens: Ihre wirtschaftliche Lage hatte sich seit dem frühen Tod ihres Mannes im Jahre 1916 dramatisch verschlechtert. Statt in der Villa über der Elbe wohnte sie längst in einem kleinen Haus an der Blankeneser Hauptstraße 61. 1933 und die Folgen Spätestens im Jahre 1932 zog sich Sophie Jansen aus allen ihren Funktionen zurück – sie war 70 Jahre alt und freute sich auf einen ruhigen Lebensabend im Kreise ihrer Familie. Aber die Übertragung der Macht an Adolf Hitler am 30. Januar 1933 veränderte alles. Sophie hatte sich zusammen mit ihrem Mann 1888 christlich taufen lassen. 1907 legte Cäsar Max seinen jüdischen Namen Josephson ab. Seitdem hieß das Ehepaar so, wie sich Sophie schon als Autorin genannt hatte – Jansen. Zwei Söhne dienten im Ersten Weltkrieg, einer wurde mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Ihre eigene rastlose Tätigkeit hatte ihr öffentliche Anerkennung und Respekt gebracht. Jetzt wurde das alles annulliert – die Deutsche aus jüdischem Haus war zur Jüdin geworden, ausgestoßen aus der Gemeinschaft der Deutschen, preisgegeben der Verfolgung. 1935 wurde diese Entrechtung Gesetz: sie verlor ihr Stimmrecht und durfte kein öffentliches Amt bekleiden. Ab 1938 trug ihre Kennkarte das J für Jude, und dem Namen Sophie wurde der für alle jüdischen Frauen geltende Zwangsname Sara hinzugefügt. Mit dem Pogrom vom 9. November 1938 verschärfte sich die wirtschaftliche Ausplünderung: Im Dezember musste sie ihren Schmuck abliefern – Schätzwert RM 100.- , Verwaltungsgebühr RM 10.-, ausgezahlt RM 90.-. Drei Monate später war das silberne Besteck dran. Zur gleichen Zeit reichte sie die geforderte Aufstellung ihres Vermögens ein: 28 351 Reichsmark in Wertpapieren. Sie fügte dem hinzu: Aus den kleinen Erträgnissen dieser Papiere und von Unterstützungen bestreite ich meinen Lebensunterhalt. […] Das Erdgeschoss des mir gehörigen Hauses habe ich seit langen Jahren vermietet. Auswanderungsabsichten bestehen nicht. Am 23. Dezember 1939 waren auch diese Angaben überholt: aufgrund eines neuen Gesetzes und unter kräftigem Druck ihres arischen Mieters musste sie ihr Haus verkaufen und wurde zur Untermieterin. Die Verordnung vom 2. September 1941 kündigte das Ende an: Alle Juden mussten der Öffentlichkeit den gelben sechseckigen Stern mit der Aufschrift Jude tragen. Nach Auskunft ihrer Tochter Eva reagierte Sophie Jansen auf ihre Art: Sie ging nicht mehr auf die Straße, nachdem das Gesetz erlassen war. Nachbarn und Freunde ließen sich nicht abschrecken und standen ihr in dieser selbstgewählten Isolation bei. Es war nur ein Aufschub. Anfang Juli 1942 erhielt sie den Deportationsbefehl für Theresienstadt, datiert auf den 19. Juli. Am 17. Juli, während ihre Tochter noch vergeblich versuchte, die Deportation ihrer 80 jährigen Mutter abzuwenden, öffnete Sophie Jansen den Gashahn ihres Herdes und machte ihrem Leben ein Ende. Sie konnte, wie sie in einem Abschiedsbrief an ihre Tochter schrieb, das Hinund Herzerren nicht mehr ertragen. Hoffentlich geben sich nun meine Verfolger zufrieden, wenn ich nun das bescheidene Plätzchen, das ich mir noch auf der Welt vorbehalten hatte, räume. Der Propst der evangelischen Kirchengemeinde Blankenese, Schetelig, weigerte sich, die Tote zu bestatten. Ihr noch vorhandenes Vermögen wurde zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen. Von den am 19. Juli 1942 von Hamburg nach Theresienstadt deportierten 771 Personen überlebten 102. Zwei ihrer Kinder kamen noch 1944 dorthin: Edith Boehlich überlebte das Lager, Hans Jansen fand dort den Tod. |
Alma del Banco 1862 - 1918: Die Anfänge Am Weihnachtstag 1862 wurde Alma del Banco in Hamburg geboren. Sie wuchs als jüngste Tochter einer assimilierten jüdischen Familie in gutsituierten Verhältnissen auf. Ihr Vater betrieb ein Handelsgeschäft für Rauchwaren, Borsten und Daunen. Sigmund del Banco, der ältere Bruder Alma del Bancos, baute dieses Geschäft aus und konnte nach dem frühen Tod der Eltern seinen Schwestern und sich einen großzügigen Lebensstil finanzieren. Er und Alma del Banco blieben beide unverheiratet und teilten sich bis zu seinem Tod eine Wohnung am Jungfernstieg. Im Alter von über 30 Jahren wandte sie sich der Malerei zu und nahm ein Studium an der renommierten privaten Damenmalschule Valeska Röver auf. Hier besuchte sie die Klasse von Ernst Eitner, der ein bekannter Vertreter der Freilichtmalerei war und dem Hamburgischen Künstlerclub von 1897 angehörte. Ernst Eitner beeinflusste das Frühwerk seiner Schülerin stark: Auch Alma del Banco wurde zunächst eine Freilichtmalerin. Um 1913 reiste die Künstlerin nach Paris. Angeregt von diesem Studienaufenthalt begann eine mehrjährige Phase der intensiven Auseinandersetzung mit den verschiedensten Künstlern und Kunstrichtungen der Moderne: mit Paul Cézanne, Fernand Léger, Henri Matisse und Franz Marc, mit dem Expressionismus und dem Kubismus. 1918-1933: Künstlerischer und öffentlicher Durchbruch
1933-1938: Ausschluss und Isolierung Die Verdrängung Alma del Bancos aus ihrem Beruf und aus der Öffentlichkeit ging Schritt für Schritt vor sich. Am 30. März 1933 wurde die zwölfte Ausstellung der Hamburgischen Sezession polizeilich geschlossen, da die Ausstellungsobjekte in ihrer überwältigenden Mehrzahl zur Förderung des Kulturbolschewismus geeignet seien (Polizeiliche Verfügung, 30.3.1933). Kurz darauf wurde die Künstlergruppe aufgrund des für alle Vereine erlassenen Gleichschaltungsgesetzes aufgefordert, sich bedingungslos zum neuen Regime zu bekennen, statt zu wählen, das Führerprinzip zu praktizieren und ihre jüdischen Mitglieder auszuschließen. Weder das eine noch das andere konnten die Mitglieder der Sezession mit ihrem politischen und moralischen Gewissen vereinbaren. Einstimmig beschlossen die Künstler daraufhin die Auflösung der Sezession und vertranken gemeinsam das Vereinsvermögen. Mit der Hamburgischen Sezession verlor Alma del Banco ihre wichtigste künstlerische Bezugsgruppe. Die Sezession hatte ihr nicht nur Ausstellungs- und damit auch Verkaufsmöglichkeiten geboten, sondern darüber hinaus den Austausch mit den Kollegen gefördert, zur Auseinandersetzung mit neuen Ausdrucksweisen angeregt und Freundschaften mit gleichgesinnten Künstlern ermöglicht. Und auch die GEDOK bekam die Machtübertragung an die Nationalsozialisten schnell zu spüren. Ende April 1933 fand eine Mitgliederversammlung statt, in der – wegen der bevorstehenden Gleichschaltung – die Auflösung der Ortsgruppe beraten werden sollte. Doch die Nationalsozialisten kamen diesem Ansinnen der Künstlerinnen zuvor, indem sie zu der Versammlung erschienen, den gewählten Vorstand gegen einen von ihnen bestimmten austauschten und den Ausschluss aller jüdischen Mitglieder durchsetzten. Die dritte Vereinigung, der die Künstlerin angehörte, war eine gesellschaftspolitische: der ZONTA-Club. Der auch heute noch weltweit aktive Damenverein, der nur berufstätige, selbstständige Frauen aufnimmt, setzt sich für die Rechte und Unterstützung von Frauen ein, indem er politisch agiert und einzelne Projekte durch Stipendien und Zuschüsse fördert. Alma del Banco hatte den ersten deutschen Verein des aus Amerika stammenden Clubs 1931 mitgegründet. Um der Gleichschaltung zu entgehen und gemäß der ZONTA-Maxime Zusammenhalten und gemeinsam tragen ließen die Damen ihren Verein aus dem Vereinsregister streichen. Danach traf man sich nur noch heimlich in privatem Rahmen. Und noch weitere Einschränkungen und Demütigungen musste die Künstlerin in diesem Jahr erleben: Zeitgenossen berichten, dass ihr als Jüdin nach 1933 das Atelier gekündigt worden sei und sie ein Verbot erhalten hätte, Modelle zu beschäftigen. Eine arische Freundin habe das Atelier daraufhin pro forma angemietet und ihr außerdem nun häufig Modell gesessen. Mit den Nürnberger Gesetzen von 1935 definierten die Nationalsozialisten, was sie unter Juden verstanden und leiteten deren endgültige Ausgrenzung ein. In der Hoffnung, dieser zu entgehen, trat Alma del Banco 1935 aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft aus. Die Zwangsmitgliedschaft in der Reichskulturkammer bildete eine weitere Maßnahme gegen nichtgenehme und rassisch verfemte Künstler: Jeder Kunstschaffende musste der Kammer beitreten und dafür u.a. seine arische Abstammung angeben. Die Nichtaufnahme oder der Ausschluss hatten automatisch den Wegfall der Kranken- und Sozialversicherung sowie Ausstellungs- und Tätigkeitsverbot zur Folge. Innerhalb der Jahre zwischen 1936 und 1938 wurden alle Juden, die aus noch nicht hinreichend erforschten Gründen zunächst Aufnahme gefunden hatten, ausgeschlossen – so auch Alma del Banco. 1937 begann die von großem Propagandawirbel begleitete Aktion Entartete Kunst, die auch Alma del Bancos Bilder erfasste. Bei dieser Welle von Beschlagnahmungen von Kunstwerken aus öffentlichem Besitz wurden aus der Hamburger Kunsthalle 13 Werke der Künstlerin kon- fisziert, 12 Arbeiten wurden zerstört, ein Bild ist verschollen. Die Nationalsozialisten verbannten die Moderne aus den Museen und ließen nur noch eine deutschtümelnde naturalistische Malerei gelten. Die einst so erfolgreiche Künstlerin, die zu den Größen der regionalen Kunstszene gehört hatte und die von Ida Dehmel als unbestritten erste Malerin von Hamburg bezeichnet wurde, erlebte die Verfemung und Vernichtung ihrer Kunst. 1938-1943: Das Ende 1938 starb ihr Bruder Sigmund im Alter von über 80 Jahren. Alma del Banco löste die gemeinsame Wohnung auf und zog zu ihrem Schwager. Dieser hatte sich nach dem Tod seiner Frau Mitte der dreißiger Jahre in Blankenese in der Hasenhöhe ein Haus gebaut und dies so konzipiert, dass Alma del Banco später zu ihm ziehen konnte: Im Obergeschoss richtete er für sie zwei Zimmer mit großen Atelierfenstern ein. Ab Herbst 1941 mussten Juden den gelben Stern tragen. Alma del Banco verließ nun, so die Erinnerungen ihrer Großnichte, nur noch selten das Haus. Im Oktober 1941 begannen die Deportationen. Anfang März 1943 erhielt Alma del Banco einen Deportationsbefehl für den 10. März nach Theresienstadt. In der Nacht vom 7. März auf den 8. März, also drei Tage davor, nahm sie sich das Leben. In Absprache mit ihr hatte der Schwager was besorgt. Die Großnichte besuchte gemeinsam mit ihrem Vater die Künstlerin noch am Nachmittag vor ihrem Tod. Ihr Selbstmord war – so die Großnichte – zu diesem Zeitpunkt schon beschlossene Sache. Heiter wie immer sei ihr Alma del Banco begegnet. An die letzten Stunden erinnerte sich der Schwager: Sie aßen zusammen Abendbrot. Ach, haben wir nicht noch was Schönes? fragte die Malerin. Ihr fielen von der Freundin geschenkte Buttermarken ein, und so aßen sie ihre Brote mit Butter. Anschließend nahm sie eine Überdosis Morphium zu sich und sagte euphorisch: Besser kann man das gar nicht haben. Gegen Morgen starb sie. |
Die Ausstellung Viermal Leben – Jüdisches Schicksal in Blankenese Viermal Leben: drei Frauen und ein Mann. Vier ganz verschiedene Berufs- und Lebenswelten mit unterschiedlichem Grad an Wirkung und Prominenz. Was diese vier Menschen verband: sie lebten in Blankenese, sie waren Juden, sie wählten- seit 1933 ausgegrenzt und bedroht- den Freitod. Die Ausstellung will den ganz unterschiedlichen Reichtum dieser Lebensläufe, die Bedeutung, die sie für das deutsche Kultur- und Wirtschaftsleben hatten, aufzeigen. Aber sie will auch die Normalität dieser Menschen in ihrem jeweiligen sozialen Gefüge- Familie und Freundeskreis, Firma und Künstlerbund- beschreiben. Und die brutale Zäsur, die die Machtübertragung an die Nazis 1933 für jeden von ihnen bedeutete. Jeder hat diesen Terror unterschiedlich erlebt und die Phasen der schrittweisen Vernichtung nahmen ein spezifisches Tempo. Aber die Weise, wie sie ausgegrenzt, isoliert, ihrer Existenzgrundlagen beraubt, durch Deportation bedroht und in die Verzweiflung getrieben wurden, war doch zugleich Teil eines Schicksal, dass sie mit hunderttausenden anderen Juden in Deutschland teilten: am Ende stand der Tod. Daß ihr Tod sich nicht in den fernen Vernichtungslagern und unter den dort etablierten Formen der anonymen, fabrikmäßigen Auslöschung, sondern in ihren Wohnungen, unter den Augen der Nachbarn, in Blankenese vollzog, rückt ihr Leben und dessen plötzliches Ende so nah. Sie sind unter uns gestorben- vielleicht wirkt daher das Erinnern so intensiv. Wenn man ihm denn einen Raum gibt. Das will diese Ausstellung. Sie wird die Geschichte ihrer Protagonisten anhand von offiziellen Dokumenten, privaten Lebenszeugnisses und Fotos- als Faksimiles und im Original- erzählen. Dabei wird der Kontext der Judenverfolgung in Deutschland ebenso thematisiert wie ihre Lage im sogenannten liberalen Hamburg. Ein Modell von Blankenese mit den markierten Häusern der hier lebenden und dann in den Tod getriebenen Juden soll zeigen, was der Satz meint "unter den Augen der Nachbarn" deportiert werden oder sterben Die Ausstellung stellt das Leben dieser vier Menschen aus Blankenese dar, die - von den Nazis in eine ausweglose Situation getrieben oder von der Deportation in ein KZ bedroht - ihrem Leben freiwillig ein Ende gesetzt haben. Sie haben alle zum kulturellen wie ökonomischen Reichtum Hamburgs und Blankeneses beigetragen, waren geachtete Bürger, ehe sie als Juden verfolgt wurden: der Kaufmann Julius Asch, der seinen Gutshof Marienhöhe aufh zu einem Erholungsort für jüdische Kinder machte; die Malerin Alma del Banco, die ein bekanntes Mitglied der HJamburger Sezession war, bis ihre Bilder als entartet gebrandmarkt wurden; Sophie Jansen, Autorin von Bestsellern wie Bebi und Bubi und gleichzeitig die erste weibliche Armenpflegerin, zunächst in Barmbek, dann in Blankenese; Ida Dehmel, die nicht nur durch ihre Ehe mit Richard Dehmel, sondern auch durch ihr Eintreten für das Frauenstimmrecht und die Gründung einer Organisation künstlerisch tätiger Frauen (GEDOK) in ganz Deutschland bekannt und geachtet war. Blankenese/Theresienstadt Die Geschichte von Blankenese zeigt, wie die große Geschichte Deutschlands und Hamburgs in das Leben der Menschen am Ort eingegriffen hat, wie der Nationalsozialismus im gesellschaftlichen Leben Fuß gefasst hat und Mehrheitsmeinung wurde, wie Menschen wegen ihrer Herkunft diskriminiert, verfolgt und ermordet wurden, aber auch, dass es Menschen gab, die den Verfolgten geholfen haben. Das KZ Theresienstadt war für die meisten der von Blankenese Deportierten das Ziel. Das Gedenkbuch für die Blankeneser Juden erinnert an alle in Blankenese damals beheimateten Juden und wegen ihrer Herkunft als Juden verfolgten und diskriminierten Menschen. Es wird dargestellt, wie sie den Schrecken der Nazizeit erlebt haben, ob sie dessen Opfer wurden, wohin sie emigriert sind oder ob sie in Blankenese überlebt haben. » s. Namesliste Das Gedenkbuch der Evangelischen Kirchengemeinde versucht, die Geschichte der Gemeinde im Dritten Reich darzustellen. Es zeigt ihre Verbindung mit dem Gedankengut des Nationalsozialismus, die dadurch geleistete Mitwirkung an dessen Etablierung und es dokumentiert, dass die Gemeinde sich auch praktisch – z. B. durch die Einrichtung eines Kirchenbuchamtes – in den Dienst des NS-Regimes hat einbinden lassen. Die Materialien zur Geschichte von Schulen und Vereinen sammeln und beschreiben einzelne Vorfälle in Blankenese, die Aufschluss geben über das gesellschaftliche Milieu. Die Gedenkbücher und Materialien sind unvollständig. Wir bitten, uns zur Vervollständigung Kenntnisse über die Menschen und die damalige Zeit mitzuteilen - siehe Kontakt. |
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